40 Jahre Musikalischer Sommer in Lienzingen mit Peter Wallinger

14.04.2017

40 Jahre Musikalischer Sommer in Lienzingen mit Peter Wallinger

Mühlacker-Lienzingen. In der Musik gibt es zwei Kräfte, die sich nur scheinbar widersprechen. Wie in jeder Kunst braucht es Freiheit, um ein guter Musiker zu sein – aber ohne Pflichtbewusstsein wird leicht Chaos daraus. Auch der Dirigent Peter Wallinger hat ein Leben zwischen diesen Polen geführt; sich das eine Mal für Freiheit, das andere für Pflicht entschieden – und ist am Ende seinen ganz eigenen Weg gegangen.

1950 wird er in Mühlacker geboren. Schon als Kind begeistert er sich für die Musik. „Ich habe meine Eltern gedrängt, mit mir Konzerte zu besuchen – nicht andersrum.“ An die Konzerte des Südfunk-Sinfonieorchesters im Uhlandbau erinnert er sich, oder an die Pforzheimer Sinfoniekonzerte in der Osterfeldschule. Natürlich will er ein Instrument lernen. „Eigentlich Klavier“, sagt Wallinger. Der Vater aber habe ihn zur Geige überzeugt. „Die war schließlich billiger.“

Geigenunterricht in Pforzheim

Über den Vater spricht Wallinger mit Ehrfurcht. Mit 19 sei der in den Krieg gezogen – kam erst mit 25 Jahren wieder zurück. „Das war ein Kämpfer. Das habe ich bewundert, aber das war mir auch irgendwie immer suspekt.“ Schon der Vater habe Geige gespielt, sei aber eben nur mit einem Arm aus dem Krieg zurückgekommen. So beerbt Wallinger den Vater musikalisch. Er entwickelt sich gut. Nach einem Jahr Musikunterricht attestiert ihm sein Mühlacker Geigenlehrer Kraus, ausgelernt zu haben. Liegt es an Wallingers Talent? Sicher. Vielleicht aber auch daran, dass Kraus während der Geigenstunden immer einschläft. „Der war rund 80 Jahre alt und hat immer gesagt, er habe in Berlin noch für den Kaiser gespielt.“

Wallinger lernt weiter, bald auch das Klavierspiel, investiert beinahe die gesamte Freizeit in die Musik. „Ich war introvertiert“, sagt er, „eher der Typ anerkannter Außenseiter“. So steht sein Berufswunsch fest. Wallinger will Musiker sein. „Mein Vater hat das nicht verstehen können. Er meinte: ,Du hast so gute Noten. Du kannst Medizin studieren und einen Haufen Geld verdienen.‘“ Will Wallinger aber gar nicht. „Ich habe mich dann entschieden, Musiklehrer zu werden.“ Und damit ist auch der Vater zufrieden. Lehrer sei ja schließlich ein anständiger Beruf.

Begegnungen mit Celibidache

Mathematik wählt er noch hinzu in Stuttgart, später noch Kapellmeisterkurse und Musikwissenschaft an der Uni Tübingen – und natürlich die Geige. Er kommt viel in Europa herum, als er mit dem Ensemble Neue Musik unter Erhard Karkoschka zeitgenössische Werke uraufführt. Doch die Abschlussprüfung wartet. Wallinger muss die neuen Spieltechniken wieder vergessen, die er gelernt hat. „Karkoschka hat immer geschrien: ,Das muss jetzt richtig kratzen auf der Geige.‘“ So lässt sich aber keine Prüfung ablegen. Doch bevor Wallinger die Hochschule verlässt, steht ihm eine Begegnung bevor. Der später in München Weltruhm erlangende Sergiu Celibidache leitet das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart – und lässt auch junge Studenten an seinen Interpretationen teilhaben. Jünger scharrt er um sich, die ihm lauschen, wenn er über Musik philosophiert. Das Problem: Dirigieren können die nicht. Wallinger schon. Aber Celibidache lässt immer nur die eigene Meinung gelten. Schon in Stuttgart fängt er damit an, Musik ungewöhnlich langsam zu spielen – eine Handschrift, die er als Dirigent der Münchner Philharmoniker bis ins Groteske steigern wird. „Ich habe viel gelernt von ihm – gerade in der spätromantischen und impressionistischen Musik, wo es stark um Klangfarben geht“, sagt Wallinger. „Aber seine Mozart-Interpretationen fand ich nicht so überzeugend.“ Viel gesehen und gehört hat Wallinger bereits, als er als Referendar an das elitäre Stuttgarter Königin-Katharina-Stift kommt – und erst von einem Kollegen überzeugt wird, dem Lehrerjob auch ernsthaft eine Chance zu geben. Claudio Prorini ist der italienische Musiklehrer der Schule; nicht wirklich hoch angesehen im Kollegium – aber bei Wallinger. „Der hatte Stil, konnte gut kochen und hatte eine unkonventionelle Art, zu unterrichten“, sagt Wallinger. Er selbst ist jetzt Musiklehrer aus Leidenschaft, kommt ans Bietigheimer Ellentalgymnasium – und ist in seinem Element. Das Schulorchester baut er auf, sein Unterricht bringt den all den Jahren Dutzende Profimusiker hervor. „Ich habe vor Kurzem mal gezählt: Es müssten so um die 80 sein.“ Auch die Mitglieder der Band Pur haben bei Wallinger die Schulbank gedrückt.

Irgendwann aber wird es zu viel. Wallinger reduziert die Stunden – es geht trotzdem nicht mehr. In der Lienzinger Frauenkirche hat er mit dem „Musikalischen Sommer“ eine Konzertreihe entworfen, die in diesem Jahre ihren 40. Geburtstag feiert, in Bietigheim die „sueddeutsche kammersinfonie“ gegründet, Gastdirigate stehen an. „2004 habe ich den Lehrerberuf an den Nagel gehängt.“

Wallinger ist zufrieden damit. Auch jetzt, 13 Jahre später, hat er noch gut zu tun – und auch schon einen Nachfolger in Aussicht. Sein Sohn Simon studiert Kontrabass und Klavier in München. „Er will Dirigent werden.“ Vielleicht wird der ganz freiwillig der Nachfolger seines Vaters – und hätte damit Pflicht und Freiheit genüge getan.

(Pforzheimer Zeitung vom 14.04.2017, Text Simon Püschel, Foto: Fotomoment)