29.06.2024
Vier Musikerinnen werden in der Lienzinger Frauenkirche mit nicht enden wollendem Beifall gefeiert. Eine unbändige Tastenlöwin ist am Werk. (Vaihinger Kreiszeitung)
LIENZINGEN. Die Frauenkirche in Lienzingen war am vergangenen Sonntagvormittag das Ziel vieler Musikfreunde. „Junge Talente“ titelte das zweite Konzert der von Peter Wallinger initiierten Konzertreihe „Musikalischer Sommer“. Ihm ist es schon immer Anliegen, junge begabte Musiker und Musikerinnen zu fördern und ihnen ein Podium für öffentliche Auftritte zu bieten.
Gefolgt waren seiner Einladung drei überaus erfolgreiche Musikerinnen, die sich mit zahlreichen nationalen und internationalen Preisen, Auszeichnungen und Förderungen schmücken können.
Mit jedem Auftritt wächst die Begeisterung
Und man mag es kaum glauben – die Geigerin Marie Hellwig (geboren 2005), die Pianistin Anna Ulmschneider (2006) und die Cellistin Anna Meipariani (2007) sind noch keine 20 Jahre alt. Und die Vierte im Bunde – die angekündigte, junge Pianistin Claudia Mandel, musste kurzfristig absagen. An ihrer Stelle spielte Ilonka Heilingloh, Korrepetitorin an der Stuttgarter Musikhochschule und unter anderem noch tätig als Pianistin und Liedbegleiterin in Meisterkursen.
Werke von Beethoven, Brahms, Szymanowski und Händel standen auf dem wahrlich anspruchsvollen Matinee-Programm. Das zu bewältigen, erwies sich durchaus als Herausforderung für die Interpretinnen und verlangte vollen Einsatz ihrer Fähigkeiten. Um es vorwegzunehmen: Alle vier erfüllten die in sie gesetzten Erwartungen. Mit jedem Auftritt wuchs die Begeisterung, aber auch die Erwartung der Zuhörer.
Kraftvoll und temporeich gestalteten Marie Helling und Ilonka Heilingloh zum Auftakt die Sonate Es-Dur op. 12 Nr. 3 von Ludwig van Beethoven (1770-1827). Die Erstausgabe von 1797 war betitelt mit „Sonate für Klavier und Violine“. Nach damaligem Musikverständnis genoss das Klavier eine Vorrangstellung und war der wichtigere Teil bei dieser Besetzung. Doch bei genauem Hinhören wurde schnell deutlich, dass Beethoven bei diesem Werk diese Auffassung vermutlich nicht teilte und neue Wege ging.
Ideenreich und ausdrucksstark verflocht er Klavier und Violine und wies beiden Instrumenten in wechselnden Einsätzen den Primärpart zu. Oder sie agierten gleichberechtigt in intensiver Zwiesprache. Bei seinen Zeitgenossen stieß Beethoven mit diesem neuen Stil auf harsche Ablehnung. Dass Violine und Klavier „Sträubigkeiten“ in den langen Notenfolgen überwinden mussten, daran ließ das zupackende Spiel der beiden Musikerinnen keine Zweifel. Doch mit vehementer Eleganz, hinter der sich eine sichere technische Beherrschung von Tasten, Saiten und Bogen verbarg, gelang dieser glanzvolle Auftakt. Nach großem Beifall war ein Wunsch des Publikums nicht zu überhören: „Bitte weiter so.“
Mit der Sonate F-Dur op. 99 für Violoncello und Klavier von Johannes Brahms (1833-1897) stimmten Anna Meipariani und Anna Ulmschneider ganz andere Töne an. Vier lange und kompositorisch sehr abwechslungsreiche Sätze forderten höchste Konzentration der Interpretinnen. Unruhig bebend begann das Allegro vivace. Ein erster starker Kontrast war das nachfolgende Adagio mit warmen Streicherklang voller Innerlichkeit. Und wieder eine Kehrtwende. Temporeich und wild-bewegt gestaltete der Komponist den dritten Satz, das Allegro passionato.
Voller Leidenschaft spielten die beiden Tonkünstlerinnen auf. Den vierten und letzten Satz bettete Brahms insgesamt in lieblichere, sanfte Töne. Nach der Uraufführung 1886 verunglimpfte der Komponist Hugo Wolf (1860-1903) diese Sonate als „Tohuwabohu“. Das sei keine ernste Musik, ist sein Kommentar überliefert. Doch die beiden jungen Interpretinnen vermittelten ein anderes Bild. Sie fanden zielbewusst einen Weg durch das nur scheinbare Durcheinander.
Helling und Heilingloh sprangen bei ihrem zweiten Auftritt ins 20. Jahrhundert und füllten den Raum mit Klangbildern ganz anderer Couleur. Der polnische Komponist Karol Szymanowski (1882-1937) „adoptierte“ in seinen Kompositionen auch Stilrichtungen anderer Komponisten. Deutlich wird dies in seiner Sonate d-moll op.9 für Violine und Klavier, die er 22-jährig schrieb. Pathetisch, mit leidenschaftlichen Ausbrüchen setzte die Violine ein und nach kurzem innigem Dialog mit dem Klavier outete sich Heilingloh als unbändige Tastenlöwin.
Nach dann hoffnungsvollen warmen Klangfolgen im zweiten Satz Andantino tranquillo e dolce dominierte im Finale zunächst das Pizzicato beider Instrumente. Sensibel gestaltete Helling die Flageolett- Phasen vom tiefen Bass bis in höchste La- gen. Doch schnell endeten andächtige Momente in einen fulminanten Schlagabtausch auf Tasten und Saiten.
Einen furiosen Schlusspunkt setzten Helling und Meipariani mit ihrer brillanten Wiedergabe der bekannten „Passacaglia“ von Händel (1685-1759), jedoch in einer mitreißenden Bearbeitung des norwegischen Geigers und Komponisten Johan Halvorsen (1864-1935).
Das Publikum war schier aus dem Häuschen, feierte die vier Tonkünstlerinnen mit nicht enden wollendem Beifall, bis die beiden Pianistinnen sich an den Flügel setzten und mit ihrer vierhändigen Wiedergabe eines Ungarischen Tanzes von Brahms einen flotten, aber leider endgültigen Schlusspunkt setzten. „Ein traumhaft schöner Sonntag“, meinte ein Zuhörer und war glücklich, dass er extra zu diesem Konzert aus Stuttgart angereist war.
(Vaihinger Kreiszeitung vom 29.06.2024, Text und Foto: Eva Filitz)