Publikum geht fröhlich nach Hause

31.07.2021

Mit Christine Schornsheim verabschiedet sich die Konzertreihe „Musikalischer Sommer“ in der Frauenkirche in die Sommerpause. (Vaihinger Kreiszeitung)

Nachdem Konzert – schon des offiziellen Outfits entledigt, nimmt sich die Solistin noch Zeit für ein Gespräch mit unserer Zeitung. „Dieses schön gestaltete Cembalo ist ein historischer Nachbau, gefertigt von einer englischen Firma“, erklärt sie dessen Herkunft.                       Foto: Filitz  
Nachdem Konzert – schon des offiziellen Outfits entledigt, nimmt sich die Solistin noch Zeit für ein Gespräch mit unserer Zeitung. „Dieses schön gestaltete Cembalo ist ein historischer Nachbau, gefertigt von einer englischen Firma“, erklärt sie dessen Herkunft. Foto: Filitz

 LIENZINGEN (ef). Im Rahmen der Musikreihe „Musikalischer Sommer“ fand zum letzten Mal vor der Sommerpause ein Konzert in der Lienzinger Frauenkirche statt. Zu Gast war Christine Schornsheim, anerkannte Spezialistin auf dem Gebiet der Alten Musik und gefragte Solistin an Cembalo und Hammerflügel, Professorin mit Lehrauftrag an verschiedenen Hochschulen. Im Konzertprogramm war in groben Zügen ihr Lebenslauf und vielfaches nachhaltiges Wirken, die zahlreichen Ehrungen und internationalen Auszeichnungen aufgeführt. So gewannen die Konzertbesucher einen ersten Eindruck von ihrer Persönlichkeit, den sie selbst durch eigene Erzählungen noch vertiefte. In ihrer Moderation stellte sie nicht nur Cembalowerke aus verschiedenen Schaffensperioden von Bach vor, sondern baute auch Brücken zwischen ihrem Leben und den Bachschen Werken. „Mein Leben mit Johann Sebastian Bach“ hatte sie ihr Konzert überschrieben. Eine sehr persönliche Aussage, die ihr aber sehr am Herzen liege, erklärte sie den so inhaltschweren Titel.

Ihre kenntnisreichen Einführungen in die einzelnen Werke ihres Programms waren für die Zuhörer eine große Hilfe, dem Phänomen Bach ein wenig näher zu kommen. Sie eröffnete die Konzertstunde mit der Toccata c-Moll BWN 911. „Aus meiner Sicht ein Frühwerk Bachs. Es ist erstaunlich wie stimmig er in jungen Jahren schon zu komponieren wusste, aber dennoch nicht ausgereift. Denn eigentlich ist diese Toccata eine lange Fuge. Doch gerade dies zeigt, dass Bach nicht als perfekter Komponist zur Welt gekommen ist, sondern als Komponist stets hinzugelernt hat, wie die späteren Werke deutlich erkennen lassen“, erklärte sie die musikalische Struktur des Konzertauftakts. Auffallend schon nach den ersten Takten der wunderbar weiche melodiöse Klang des Cembalos. Zum einen wohl der Qualität des Instrumentes geschuldet, aber vorrangig wohl ihrem gefühlvollen Umgang mit der gesamten Tastatur, ihrem sensiblen Anschlag. Auch dazu fand sie Worte ihres Meisters Bach. Schon zu seinen Lebzeiten wie auch noch heute würden Teile seines Werks als Unterrichtsliteratur genutzt. Und was muss laut Anweisung des Meisters der Lerneffekt sein? „Erstens: Das Wesen einer Komposition verstehen lernen. Zweitens: Sich das Singen eines Cembalos erarbeiten, was man allen Instrumenten zuschreibt, aber nicht dem Cembalo“, gab die Solistin die jahrhundertealte Anweisung weiter, die auch heute noch Cembalospieler befolgen sollten. Nun, Punkt zwei muss Christine Schornsheim buchstäblich verinnerlicht haben, wie ihre Interpretationen von so unterschiedlichen Kompositionen wie Inventionen und Duetten, Canon alla Ottawa, von Fantasie und Fuge, einer französischen Suite mit sieben Sätzen oder ein Concerto nach italienischem Gusto beeindruckend bewiesen.

Bereits in Bachs Generation folgten Musikliebhaber modischen Tendenzen und interessierten sich bevorzugt für solche „aktuellen“ Werke. Ein Komponist war also gut beraten, dem Zug der Zeit zu folgen. „So war es eine Zeit lang Mode Stücke in französischer Manier zu spielen, geschmückt mit vielen Ornamenten. Noch heute ist nicht sicher, warum die Titel der einzelnen Sätze in Bachs Französischer Suite G-Dur BWV 816 mal italienisch, mal französisch lauten. Vermutlich wurde gewählt, was gerade die verkaufsträchtigere Mode war“, lautete der fachliche Kommentar.

Doch alle Theorien waren hinfällig, galt es doch nun nur noch den wunderbaren Klängen des Cembalos zu folgen, die Verschiedenheit der Interpretationen der sieben Sätze wahrzunehmen, sie ganz einfach zu genießen, wie zum Beispiel die Sarabande. Augen schließen und sich entspannt den ruhig dahingleitenden Klangwelten hingeben. „Die Fantasie und Fuge a-Moll BWV 904 ist mein Lieblingsstück“ nahm nach der Pause die Solistin „den Faden“ wieder auf. „Es ist ein besonderes Meisterwerk, wie kunstvoll Bach zwei Themen verknüpft, dabei wiederholt Entspannungsmomente erlebbar macht, ehe erneut die volle Aufmerksamkeit vom Interpreten und Zuhörer gefordert ist.“ Nicht nur ihre genaue Werkkenntnis vermittelte sie, sondern gewährte auch einen tiefen Einblick in ihr Bachsches Gefühlsleben. „Bach-Musik erdet, gibt Kraft, hat mir oft Trost gespendet und Halt gegeben. Viele meiner Kollegen haben gerade in der entmutigenden Corona-Zeit zu Bachs Musik gefunden“, erzählte sie.

Als letzter Titel stand das Concerto nach italienischem Gusto BWV 971 auf dem Programm. Nach so viel vorausgegangenem Tiefsinn versprach die Solistin den Zuhörern: „Sie werden fröhlich nach Hause gehen.“ Im Stile Vivaldis habe Bach dieses Konzert gestaltet, aber noch reicher, mit größerer Leichtigkeit, dennoch inhaltsschwerer und in der Tiefe gründlicher, als wollte er beweisen: „Hört hin, ich kann’s noch italienischer als die Italiener“, lautete die letzte Einführung. Die ersten Takte des dreisätzigen Concertos klangen recht bekannt. Das folgende anrührende Andante lud zu innerer Einkehr ein, machte ruhig. Doch mit dem wirbelnden Presto setzte die Künstlerin den versprochenen fröhlichen Schlusspunkt.

Tosender, nicht enden wollender Beifall war der Dank des Publikums. „Ich spiele noch etwas aus den Goldberg-Variationen für Sie“, kündigte die so gefeierte Solistin eine Zugabe an. „Keine Angst, nicht alle“, schränkte sie ein und verführte das Publikum noch zu herzhaftem Lachen. Denn insgesamt schuf Bach 30 Goldberg-Variationen. Bis zum letzten Ton mit großer Hingabe und Respekt dem Werk Bachs verpflichtet, gab sie dem hingerissen lauschenden Publikum mit dem Thema der „Aria“ nochmals einen bewegenden Eindruck ihres großen Könnens – an dem Instrument, dass scheinbar nicht singen kann.

Fazit: Eine ganz besondere Konzertstunde, bestens geeignet, die dunklen Wolken am sonntäglichen Himmel verblassen zu lassen und auch sonst noch etliche der alltäglichen Sorgen.

(Vaihinger Kreiszeitung vom 31.07.2021, Text und Foto: Eva Filitz)