Ein hörenswerter Schlusspunkt

24.09.2019

Das „Lotus String Quartet“ beschließt die Saison des „Musikalischen Sommers“ in Lienzingen mit Werken aus dem 19. Jahrhundert. (Mühlacker Tagblatt)

Erneut zu Gast in der Frauenkirche Lienzingen: das „Lotus String Quartet“. Foto: Fotomoment
Erneut zu Gast in der Frauenkirche Lienzingen: das „Lotus String Quartet“. Foto: Fotomoment

Am letzten Tag des Sommers fand das letzte der insgesamt sechs Konzerte des „Musikalischen Sommers“ 2019 in der Frauenkirche Lienzingen statt. Bestritten wurde die Matinee vom „Lotus String Quartet“, das seit 2008 regelmäßig bei diesem Festival gastiert.

Mühlacker-Lienzingen. Vorgestellt wurden an diesem Sonntagvormittag ausschließlich Kompositionen aus dem 19. Jahrhundert. Zwei davon tragen autobiographische Züge der Komponisten, wenn es sich auch nicht um programmatische Musik handelt. Zum Auftakt erklang ein sozusagen unvollendetes Werk, nämlich das Fragment eines Streichquartetts in c-moll von Franz Schubert, das dieser im Dezember 1820 begonnen, aber nie vollendet hat. Denn nach dem 41. Takt des zweiten Satzes gab er das Vorhaben auf. Nichtsdestotrotz wurde der erste Satz „Allegro assai“ ins Werkverzeichnis als „D 703“ aufgenommen und häufig als sogenannte Zugabe gespielt. Ist er doch in seiner „Mischung aus eigenwilligen klanglichen, harmonischen und melodischen Eingebungen ungemein charakteristisch für Schubert“. Und so brachte denn auch das „Lotus String Quartet“ die unvermittelt nebeneinanderstehenden Klangideen kongenial zum Vortrag: eine kreisende Figur im Tremolo über dem absteigenden Quartgang in Moll und ein sehnsüchtiges Liedthema in Dur.

In diesem Fall war das Acht-Minuten-Werk keine Zugabe, sondern der Auftakt des Konzerts. Als Zugabe spielte das „Lotus String Quartet“ die Canzonetta aus dem 1829 entstandenen Streichquartett Es-Dur opus 12 von Felix Mendelssohn Bartholdy, deren Hauptthema häufig als „Lied ohne Worte“ bezeichnet wird.

Im Mittelpunkt der Matinee standen jedoch die zwei bereits als autobiographisch bezeichneten Werke. Zum einen das Streichquartett f-moll opus 80 von Felix Mendelssohn Bartholdy und zum anderen das Streichquartett e-moll von Bedrich Smetana, deren Aufführungen jeweils rund eine halbe Stunde dauerten.

1847, in seinem eigenen Todesjahr, entstanden, gedachte Felix Mendelssohn Bartholdy seiner Schwester Fanny Hensel, die im Mai gestorben war. Fanny Hensel war selbst Pianistin, schrieb Klavierstücke und Lieder und wird zuweilen als die bedeutendste Komponistin des 19. Jahrhunderts angesehen. In diesem Streichquartett fasste der Komponist seine Gedanken an die Schwester zusammen und schrieb ihr sozusagen ein Requiem. So beherrschen Trauer und Düsternis das Geschehen, der Klage wird zuletzt freier Lauf gelassen. Nicht von ungefähr wird diese Komposition als „ein Musterbeispiel formal gebändigter Emotionalität“ angesehen. Und das bestimmte auch die Interpretation des Werks durch das „Lotus String Quartet“, die sich durch Strenge und Bestimmtheit, aber auch durch Kontemplation im nuancenreichen Spiel auszeichnete.

„Aus meinem Leben“ lautet der Untertitel des 1876 von Bedrich Smetana komponierten Streichquartetts e-moll – und das nicht von ungefähr, wie manche meinen. Denn in einem Brief vom 12. April 1878 erläuterte er, was er damit meinte und was man beim aufmerksamen Zuhören auch nachvollziehen kann. So sprach er in Bezug auf den ersten Satz „die Liebe zur Kunst in der Jugendzeit, das Sehnen nach etwas Unaussprechlichem sowie die Vorahnung des nahenden Unheils“ an. Der zweite Satz steht für die „fröhliche Jugendzeit, in der Smetana ein leidenschaftlicher Tänzer war und gern Tänze komponierte“. Im dritten Satz geht es um „die Zeit der aufkeimenden Liebe zu seiner späteren Frau“. Das Finale schließlich wird von der hereinbrechenden Taubheit beherrscht, „sie löst Jugenderinnerungen und Hoffnungsschimmer aus, bevor sie zur Unterwerfung unter das unausweisliche Schicksal führt“. Resignierend leise endet dieser Satz mit drei Pizzicato-Akkorden.

In jeder Beziehung reich differenzierend, dem Thema angemessen, interpretierte das „Lotus String Quartet“ in seiner seit 14 Jahren bestehenden Besetzung Sachiko Kobayashi (Violine), Mathias Neundorf (Violine), Tomoko Yamasaki (Viola) und Chihiro Saito (Violoncello) diese Komposition mit ihren Höhen und Tiefen und setzte damit den hörenswerten Schlusspunkt für den von Peter Wallinger verantworteten „Musikalischen Sommer“ 2019 in der Frauenkirche Lienzingen.

(Mühlacker Tagblatt vom 24.09.2019, Text: Dieter Schnabel, Foto: Fotomoment)