Differenzierte Interpretationen

17.07.2019

Die Süddeutsche Kammersinfonie Bietigheim gibt ein Konzert in der Lienzinger Frauenkirche (Mühlacker Tagblatt)

Ausdrucksstark: Kai Kluge. Foto: Friedrich
Ausdrucksstark: Kai Kluge. Foto: Friedrich

Mühlacker-Lienzingen. Mit Musik aus dem 19. und 20. Jahrhundert bestritt die Süddeutsche Kammersinfonie Bietigheim unter ihrem Gründer und künstlerischen Leiter Peter Wallinger das dritte der insgesamt sechs Konzerte in der von diesem initiierten Reihe „Musikalischer Sommer“ in der Frauenkirche in Lienzingen.

1939 gingen der englische Komponist Benjamin Britten und der Tenor Peter Pears in die USA. Doch aus Heimweh kehrten die beiden drei Jahre später wieder nach Großbritannien zurück. Dort komponierte Benjamin Britten 1943 seine „Serenade opus 31“. Die Texte lieferten ihm ein Anonymus aus dem 15. Jahrhundert sowie englische Dichter vom 16. bis 19. Jahrhundert: Ben Jonson, Charles Cotton, William Brake, John Keate und Lord Tennyson.

Obwohl für Benjamin Britten der Dienst mit der Waffe nie infrage kam, solidarisierte er sich mit diesem Werk auf seine Weise mit dem „englischen Geist“ und seinem Heimatland in Zeiten des Krieges.

Geschrieben für Tenor – selbstverständlich seinen Lebensgefährten Peter Pears –, Horn und Streicher, beginnt das von Abend- und Nachtstimmung dominierte Werk mit einem Horn-Solo und endet auch mit einem solchen, gespielt hinter der Bühne, in Lienzingen im hinteren, von einem hölzernen Tonnengewölbe überspannten Kirchenraum, während das Orchester vor dem Chor Platz findet. Virtuos beherrscht Reimer Kühn, Solohornist des Staatsorchesters Stuttgart, seine zwei Horninstrumente. Kai Kluge, Ensemblemitglied der Staatsoper Stuttgart, der vor seinem Studium an der Musikhochschule Karlsruhe Aurelius-Sängerknabe in Calw war, zeigt in der Tenorpartie die gesamt Breite, Tiefe und Höhe seines stimmlichen Könnens. Nach den jeweiligen Erfordernissen gestaltet er seinen Part dramatisch, sensibel, klagend, getragen, verspielt und beschwingt, stets mit starkem Ausdrucksvermögen. Peter Wallinger und das Orchester sind den Solisten mehr als nur Begleiter. Sie gehen vielmehr verständnisvoll auf sie ein und sorgen mit ihnen dafür, dass die Intentionen des Komponisten adäquat zur Geltung kommen.

Als zweites Werk des Konzerts steht die „Arpeggione“-Sonate D 821 für Violoncello und Streicher von Franz Schubert auf dem Programm, entstanden 1824. Das als „Sonate“ bezeichnete ursprüngliche Duo für „Arpeggione“ und Klavier besteht aus drei Sätzen, wobei der zweite Satz unversehens in den rondoartigen Schlusssatz übergeht. Doch nicht genug damit, der Komponist hatte ein „Guitarre d’amour“ genanntes Instrument vor Augen. Dessen ungeachtet wird in Lienzingen die Arbeit von einer führenden Violoncellistin und vier Streichern aufgeführt, dazu ohne Klavier. Doch dieses Quartett und vor allem Chihiro Saito entschädigen mit ihrem nuancenreichen Spiel und dem von ihnen erzeugten differenzierten Klang dafür, dass man Schuberts Komposition nicht in der ursprünglichen Version hört.
Den Abschluss bildet die Serenade E-Dur opus 22 für Streichorchester von Antonín Dvořák, geschrieben 1875. Dieses häufig gespielte, populäre Werk zeichnet sich durch „melodische Eingängigkeit und die sinnliche Intensität der Instrumentation“ aus. Die fünf Sätze dieser in der Tradition seit Mozart stehenden Komposition werden vom Orchester unter der umsichtigen, einfühlsamen Leitung von Peter Wallinger, ganz im Sinn des Komponisten wiedergegeben: nach dem dreiteiligen Moderato mit fülligem Klang das Tempo di Valse, danach als zweiter Tanzsatz beschwingt und mit Tempo das Scherzo Vivace, eher bedächtig das Larghetto und aufpeitschend das Finale Allegro vivace.
Wieder einmal erweist sich Peter Wallinger nicht nur als interessanter Programmgestalter und kompetenter Dirigent. Sein „Musikalischer Sommer“ ist auch in diesem Jahr wieder eine Bereicherung im kulturellen Leben der gesamten Region.

(Mühlacker Tagblatt vom 17.07.2019, Text: Dieter Schnabel, Foto: Stefan Friedrich)