Brückenschlag zwischen Klassik und Beatles

02.07.2019

Beim „Musikalischen Sommer“ in Lienzingen sprengt das Rastrelli Cello Quartett auf raffinierte Weise Genregrenzen (Mühlacker Tagblatt)

Vielseitig und überraschend: das Rastrelli Cello Quartett. Foto: Friedrich
Vielseitig und überraschend: das Rastrelli Cello Quartett. Foto: Friedrich

Mühlacker-Lienzingen. Mit dem Rastrelli Cello Quartett gastierte am Sonntag ein alter Bekannter des „Musikalischen Sommers“ in der sehr gut besuchten Lienzinger Frauenkirche. Zurück bei Freunden, begeisterten die vier glänzend aufgelegten Instrumentalisten das Publikum mit einem erlesenen Programm.

Es waren knapp zwei Stunden Cellokunst auf höchstem Niveau, die die Brücke von der klassischen Musik zur Popliteratur schlug und ganz nebenbei bewiesen hat, warum Musik als universelle Sprache streng genommen keine Grenzen kennen kann: Genau das haben die zahlreichen Besucher in der Frauenkirche erlebt. Es war ein bemerkenswertes Konzert mit einem Quartett, das zu diesem Anlass praktisch an die Grenzen des technisch Möglichen ging und die vielen Zuhörer – das Ensemble, das schon mehrfach in Lienzingen gastierte, bezeichnete sie als „Freunde“ – dabei von Beginn an mit einem außerordentlichen Feingefühl und einem sehr sensiblen Gespür für die dynamischen Feinheiten in seinen Bann zog. Das Programm selbst ist thematisch in zwei Blöcke zu gliedern: Vor der Pause wartete das Rastrelli Cello Quartett mit einigen Perlen der klassischen Literatur auf; im zweiten Teil stand das Programm dann einzig im Zeichen der Beatles, deren Musik den Vergleich mit Brahms, Tschaikowsky oder Grieg nicht scheuen musste.

Zunächst hatte das Ensemble das Konzert mit einer munteren „Tarantella“ (David Popper) eröffnet; ein erster Fingerzeig in Sachen Qualität und Reichtum an Klangfarben. Wohlgemerkt: Da vorne saß ein Quartett, bestehend nur aus Cellisten, die dennoch einen ähnlich großen Tonumfang nutzten, wie man ihn üblicherweise von einem klassischen Quartett mit Violine für die hohen und Kontrabass für die tiefen Stimmen erwarten würde. Dadurch gewannen die Werke oft an erstaunlicher Tiefe, nicht nur bei kraftvolleren und fast treibend forsch vorgetragenen Passagen der Tarantella, sondern grade auch, wenn es filigran und zart wurde. Tschaikowskys „Andante cantabile“ ist ein solches Beispiel: Hingebungsvoll kostete das Quartett jeden Ton in seiner ganzen Anmut aus und gab ihm den Raum, nachhaltig zu wirken; getragen nicht zuletzt von der Akustik in der Frauenkirche, die das ganze Konzert über von einem feinen und zugleich erlesenen Streicherklang erfüllt war.

Einer der vielen Höhepunkte in Sachen dynamischer Raffinesse im ersten Teil war sicherlich Edvard Griegs „In der Halle des Bergkönigs“: Herrlich, wie das Quartett anfangs vorsichtig dahinschritt, ganz in sich versunken und von nur dezenter Lautstärke geführt, die sich dann jedoch zunehmend verdichtete und an Ausdruck gewann – bis hin zum finalen kraftstrotzenden Akkord. Dazu servierte das Quartett eine kurzweilige Auswahl an Ungarischen Tänzen von Johannes Brahms. Außen vor gelassen haben sie dabei nur die Tänze mit den Nummern eins und fünf. „Die meisten kennen sie wegen Disney oder Bugs Bunny“, bemerkte der künstlerische Leiter Kira Kraftzoff. So schön es ist, dass auf diese Weise schon Kinder an Brahms herangeführt werden, so bedauerlich sei es, dass die anderen nicht minder von Genialität sprühenden Tänze meist unbekannt blieben. Dass das Publikum während deren Interpretation etwas zu früh geklatscht hat – das Rastrelli Cello Quartett war noch nicht fertig – mag als Indiz für seine These gewertet werden können.

Überrascht hat das Ensemble das Publikum in der Frauenkirche aber auch mit einer ganz anderen Sache: Der erste Teil war schon gespielt, die Pause geplant; und doch: Die Musiker blieben sitzen. „Nirgendwo ist festgelegt, dass die Zugabe erst am Ende des Konzerts stattfinden muss“, klärte Kraftzoff auf und wartete mit zwei ebenfalls ausdrucksstarken russischen Volksliedern aus dem neuen Programm auf. Die Zugabe vorzuziehen, hatte allerdings einen wichtigen inhaltlichen Grund: Nach der fulminanten Hommage an die Beatles hätte eine solche Zugabe schlicht nicht mehr gepasst. Zu stark war die Botschaft, die das Ensemble mit dem „Beatles Songbook“ sandte: Musik ist die einzig wahre universelle Sprache. Insofern seien auch die Beatles für sie etwas ganz Besonderes, betonte Kraftzoff.

Zunächst wirkte das Werk ähnlich einer Suite aufbereitet. Zentrale Motive von Klassikern wie „Yesterday“ oder „Penny Lane“ fügten sich nahtlos in einen fesselnden Streicherklang – auch hier wieder getragen von dieser faszinierenden Tiefe, die das Ensemble bei diesem Auftritt auszeichnete. Dann jedoch wandelte sich die Stimmung allmählich; mehr und mehr verschwammen die Grenzen zwischen klassischer Musik und Popmusik, so dass das Publikum angesichts der unglaublichen Möglichkeiten eines Cello-Quartetts nur noch staunen konnte. Wenn sich alle Musiker zusammensetzen und gemeinsam ein Lied singen, so Kraftzoffs Botschaft am Ende, dann habe die Welt eine Chance, anders auszusehen, besser zu werden. So wie es Musiker und Publikum zum Abschluss des umjubelten Konzerts taten, als sie gemeinsam lauthals „Hey Jude“ sangen. Ein bewegender Moment.

(Mühlacker Tagblatt vom 02.07.2019, Text u. Foto: Stefan Friedrich)