Herzerfrischendes zum Herbstanfang

26.09.2018

„Podium Junger Künstler“ in der Frauenkirche: Ensemble präsentiert sich als Einheit. (Mühlacker Tagblatt)

Die Cellistin Katharina Schmidt interpretiert ein Konzert des Bach-Sohns Carl Philipp Emanuel. Foto: Fotomoment
Die Cellistin Katharina Schmidt interpretiert ein Konzert des Bach-Sohns Carl Philipp Emanuel. Foto: Fotomoment

Mühlacker-Lienzingen. Der kalendarische Herbstanfang ist an diesem Sonntagmorgen nicht zu übersehen. In der Lienzinger Frauenkirche haben sich dennoch zahlreiche Zuhörer eingefunden, die leise mit Bekannten und ihren Sitznachbarn ins Gespräch vertieft auf den Beginn des Konzerts warten. Im Chorraum der Kirche bereiten sich die Musiker des „Podiums Junger Künstler“ auf ihren Einsatz vor. Herzlicher Applaus begleitet die 15 Instrumentalisten auf ihre Plätze, und nachdem Konzertmeister Tigran Poghosyan und seine Mitspieler gestimmt haben, betritt Dirigent Simon Wallinger das Podium. Die Tauben, die sich anscheinend unter dem Dach der Kirche besonders wohlfühlen, und laut aufheulende Motoren, die von der Bundesstraße hereindröhnen, hört er in seiner Konzentration nicht.

Wallinger braucht nicht die großen Gesten. Leicht und federnd klingt das Concerto grosso g-moll opus 3,2 von Antonio Vivaldi in seinen schnellen Sätzen, während er in den langsamen Sätzen Raum lässt, um der Vielfalt ihrer Musik nachspüren zu können. Dabei wirken sie weder schwermütig und schon gar nicht schwerfällig, und auch so mancher Ripieno-Spieler lauscht versonnen der Concertino-Gruppe mit Tigran Poghosyan (Violine I), Waleska Sieczkowska (Violine II) und Anderson Fiorée (Violoncello). Es kommt Wallinger sehr zugute, dass er selbst auch Kontrabassist ist und vielfältige Erfahrung im Ensemblespiel besitzt.

Carl Philipp Emanuel Bach war Sohn des großen Johann Sebastian Bach und zu seinen Lebzeiten bekannter als der bereits in Vergessenheit geratene Vater. Die Einleitung zum Cellokonzert A-Dur Wq. 172 legt schon die Eigenarten des Komponisten offen - nicht mehr Johann Sebastian Bach, auch kein typischer Klassiker, aber eben kein Haydn, kein Mozart, von exzentrisch, wild und lebendig bis zu melancholisch verbindet er die Klarheit seines Vaters mit den neuen Klängen der klassischen, stürmisch drängenden Epoche. Es scheint, dass das Cello von Katarina Schmidt, eines aus der Werkstatt des Sohnes Joseph Guarnerius in Cremona, ungeduldig darauf wartet, dass es endlich mitspielen darf. Welch einen Klang besitzt dieses Instrument, das sich seiner Cellistin Katarina Schmidt zu Diensten geben möchte – voller Charakter und unverwechselbar. Man sagt, das Cello sei der menschlichen Stimme am ähnlichsten. So lässt es Schmidt im zweiten Satz innig singen und setzt den Zuhörern die wunderbar weite, empfindsame Melodie mitten ins Herz. Das Orchester wirkt nicht wie ein vor kurzem zusammengesetztes Ensemble. In den letzten Tagen haben sich die Musiker gut kennengelernt, denn das frische Tempo des dritten Satz mit all seinen kleinen Würzungen in dieser Natürlichkeit zum Klingen zu bringen, ist alles andere als einfach. Wallinger ist es in der kurzen Probenphase gelungen, dass sich die Musiker aufeinander und auf seine Führung einlassen. In der hingebungsvoll und tiefgründig agierenden Solistin Katarina Schmidt findet er eine kongeniale Partnerin.

Vor der Pause warten alle gespannt auf vier der Fünf Sätze opus 5 von Anton Webern. Eine völlig andere Atmosphäre breitet sich aus. Sphärisch klagend reiben sich die Phrasen, und in dem ruhigen Tempo Wallingers in den langsamen Sätzen kann sich die Schönheit dieser Musik entfalten, die sich von der traditionellen Tonalität abkehrt und für manchen eher schwierig anzunehmen ist. Die Hintergrundgeräusche von der an diesem Tage ungewöhnlich lauten Bundesstraße ergänzen auf bizarre Weise die Musik. Es ist eine mutige Entscheidung, den Zuhörern diese Sätze zu präsentieren, aber es gelingt dem Dirigenten auch hier, die richtigen Akzente zu setzen und die Neugier des Auditoriums zu wecken und zu erhalten.

Nach der Pause setzt sich Simon Wallinger für das Klavierkonzert in A-Dur KV 414 von Wolfgang Amadeus Mozart an den Flügel. Ihm reichen kleinste Bewegungen, die der Konzertmeister als Impulse aufnimmt und im selben Moment an das Orchester weitergibt. So erklingt dieses Klavierkonzert farbenreich und charaktervoll, froh und neckisch, warm und herzerfrischend. Langanhaltender Applaus dankt den Künstlern und vor allem dem erst 25-jährigen Simon Wallinger, der mit seiner ruhigen und tief empfindenden Art das Ensemble zu einer Einheit geformt hat.

(Mühlacker Tagblatt vom 26.09.2018. Text: Irene Schallhorn, Foto: Fotomoment)