Oase der Ruhe zum Klingen gebracht

08.04.2017

Oase der Ruhe zum Klingen gebracht

Peter Wallinger erfüllt seit 40 Jahren die Lienzinger Frauenkirche mit hochkarätiger Musik – Jubiläumssaison beginnt im Juni (Mühlacker Tagblatt)

Wenn Peter Wallinger mit dem respekteinflößend alten Schlüssel das ebensolche Schloss der Frauenkirche öffnet und den Raum betritt, fühlt es sich für ihn ein bisschen an wie Nachhausekommen. Kein Wunder, hat der Dirigent doch aus dem bauhistorischen Kleinod eine Heimstätte der Musik gemacht.

Mühlacker-Lienzingen. Der „Musikalische Sommer“ ist auf Initiative Peter Wallingers in die ehemalige Wallfahrtskirche eingezogen, die sich in den vergangenen vier Jahrzehnten zum Pilgerort für die Anhänger klassischer Klänge entwickelt hat. Und auch in Zukunft soll es an Gründen, nach Lienzingen zu kommen, nicht mangeln: Die Jubiläumssaison bietet vom 18. Juni an weitere sechs Matineen.

An diesem Montagabend aber sind es nicht die hochkarätigen Solisten, auch nicht die fein aufeinander abgestimmt agierenden Musiker eines Orchesters, die das Gotteshaus mit Klängen erfüllen. Es sind die Gesänge der Vögel, die durch die geöffneten Türen ins Innere dringen. Sie mögen Peter Wallinger ebenso als Inspirationsquelle dienen wie die unaufdringliche und doch so variantenreiche Ornamentik der Kirche. Der Narr an der Rückwand, die Spinne an der Decke, die Fischmotive, die sich sehr deutlich am Aufgang zur Kanzel zeigen: All diese Zeugnisse kreativen Schaffens aus alter Zeit bedeuten ihm mehr als eine hübsche Kulisse. Neue Ideen flögen ihm hier zu, sagt Peter Wallinger, hier, in einer Oase der Ruhe, die er zum Klingen gebracht hat.

Dass aus der ersten Begegnung mit der Frauenkirche eine derart intensive Beziehung werden würde, konnte der Musiker freilich nicht ahnen, als er im Jahr 1977 das Gebäude auf der Suche nach einer Konzertstätte für das gerade gegründete Kammerorchester „Junges Divertimento“ erkundete. Obwohl in Mühlacker geboren und aufgewachsen, sei er überrascht vom archaischen Charme der Kirche gewesen, erinnert sich Peter Wallinger. Diese erlebte am 4. September 1977 die Geburtsstunde der Reihe, die allerdings erst sechs Jahre später in Anlehnung an das französische Festival „Été musicale“ den Namen „Musikalischer Sommer“ erhalten sollte. Ein Telemann-Werk habe den Anfang markiert, der Künstler Dr. Eberhard Frank die Begrüßungsrede gehalten.

Seither mögen 400 Konzerte stattgefunden haben, schätzt der Initiator. Zeitweise sei Lienzingen auch eine Außenstelle der Maulbronner Klosterkonzerte gewesen. Waren es zunächst auf hohem Niveau musizierende Schüler und Bekannte Wallingers, die unter seiner Leitung auftraten, so gastierten in der Frauenkirche bald auch auswärtige Ensembles. Lang liest sich die Liste renommierter Interpreten, die den Charme des Konzertortes zu schätzen wussten und wissen. Mit großen Gagen könne er Stars wie den Klarinettisten Sebastian Manz nicht locken, sagt Peter Wallinger, mit spannend gestalteten Programmen schon. Lange Jahre sei kein Eintritt erhoben worden, berichtet der Dirigent. Auch wenn sich dies mittlerweile geändert habe, kalkuliere er immer noch vorsichtig. Zur Finanzierung des Festivals trügen ein jährlicher Beitrag der Stadt Mühlacker, Zuschüsse von Land und Kreis, der Förderverein sowie Sponsoren wie vor allem die Stadtwerke bei. „Bei Stiftungen ist es zuletzt schwieriger geworden“, spricht Peter Wallinger von einem zähen Ringen um Unterstützung, das einen großen Teil seiner Arbeit ausmache, doch gehe die Rechnung am Ende „immer so gerade auf“. Weder Geld noch Platz seien im Überfluss vorhanden, auch die Temperaturen setzten dem Musizieren in der Frauenkirche Grenzen. „Qualität vor Quantität“ leitet Wallinger aus dieser Situation jene Maxime ab, die für ihn bei der Erarbeitung jedes einzelnen Stücks, jedes Programms, jeder Konzertsaison gilt.

Moderne Scheinwerfer mögen die Musiker heute ins rechte Licht setzen, ein von einer treuen Zuhörerin gestifteter Teppich die Füße der Interpreten vor Kälte schützen – unverändert geblieben sei in 40 Jahren der Anspruch, nicht nur die häufig gehörten Werke darzubieten, sondern auch unentdeckte Schätze zu heben. Die Zuhörer danken es Peter Wallinger: Jeweils etwa 200 Musikfreunde versammeln sich zu den meisten der pro Jahr inzwischen sechs Matineen. Auch den im klassischen Bereich eher raren Zuhörer-Nachwuchs habe er im Blick, verweist der langjährige Lehrer auf das im „Musikalischen Sommer“ fest etablierte „Podium junger Künstler“ und die Schülerkonzerte, die er innerhalb der ebenfalls von ihm initiierten Reihe „Mühlacker Concerto“ anbietet. Die Resonanz sei enorm. „Ich bin nicht so pessimistisch wie andere, was das künftige Konzertpublikum angeht“, bezieht sich Peter Wallinger auch auf seine Erfahrungen mit „sehr aktiven“ Musikschulen in der Region. Er erlebe die Generation der um die 20-Jährigen als überaus aufgeschlossen. Wer sich mit Musik beschäftige, profitiere in vielfacher Hinsicht. Die Kreativität werde ebenso angeregt wie das strukturelle Denken.

Aus Wallingers Leben jedenfalls ist die Welt der Klänge nicht wegzudenken. Arzt zu werden, wie es der Vater dem Sohn ans Herz gelegt habe, sei nicht infrage gekommen. „Ich musste einfach Musik machen“, blickt der heute 66-Jährige zurück. Zur Schulmusik wählte er als zweites Fach die Mathematik hinzu, studierte zusätzlich Musikwissenschaft, besuchte die Kapellmeisterklasse. „Dann kam Celibidache nach Stuttgart“, benennt Peter Wallinger ein für seine Vita einschneidendes Ereignis. Das „Faszinosum“ des Dirigenten ergriff auch ihn, vom „Klangmagier“ bezog er entscheidende Impulse.

Das feine Gehör, das Wallinger Celibidache bescheinigt, ist auch ihm selbst zu eigen, es hat seine Arbeit als Geiger, Musiklehrer und Dirigent geadelt und ihm zahlreiche Gastdirigate auf internationalem Parkett eingetragen. Doch auch der Frauenkirche will der begeisterte Bergwanderer treubleiben. „Ich mache einfach gern Musik“, laute seine Antwort, wenn ihm hin und wieder die Frage nach der Zukunft der Reihe gestellt werde. Ob sein Sohn Simon, der die Jubiläumssaison mit Bachs „Goldberg-Variationen“ eröffnen wird, irgendwann in die Rolle des Vaters schlüpfen könnte? Darüber mache er sich noch keine großen Gedanken, sagt Peter Wallinger. Viel eher kreisen diese um neue Programme, die gern auch einmal eine halbszenische Aufführung einer frühen Barockoper enthalten dürften. Ein noch unerfüllter Traum – bisher habe er die passende Formation nicht gefunden, bedauert der Festival-Leiter. Gut müsse das Ergebnis schließlich sein. Wie anders könnte der Anspruch an einem Ort lauten, an dem die Vögel so schön singen?

(Mühlacker Tagblatt vom 08.04.2017, Text u. Foto: Carolin Becker)