05.11.2024
„Schubertiade“ in Ötisheimer Kelter begeistert das Publikum. (Pforzheimer Zeitung)
Ötisheim. Höhepunkte gab es in Franz Schuberts kurzem Leben nur wenige. Die Liebe hat er wohl nicht kennengelernt, wahre Freundschaft dagegen schon. Legendär die „Schubertiaden“, Abende in Wohnzimmern oder Gasthöfen rund um Wien, an denen er Musiker, Maler und Dichter um sich versammelte. Bis tief in die Nacht wurde gefeiert, musiziert und über das Leben philosophiert. „Kannewas?“ (Kann er was?) soll Schubert scherzhaft gefragt haben, wenn ein Neuer in die Clique aufgenommen werden wollte. „Schubertiaden“ nennt man heute Konzertreihen oder Musikfestspiele, die das überreiche Schaffen des 31-jährig verstorbenen Frühromantikers ins Zentrum rücken.
Bereits zum zwanzigsten Mal veranstaltet die Initiative MühlackerConcerto eine zusammenhängende Winter-Konzertreihe, die am Sonntagnachmittag so vielversprechend begann. Wegen Renovierungsarbeiten im Uhlandbau fand die gut besuchte Veranstaltung in der Kelter in Ötisheim statt. Dies sollte sich nicht zum Nachteil auswirken, denn sowohl das Ambiente als auch die Akustik des Keltersaales sind ganz vorzüglich.
Das Konzert war mit „Schubertiade im Herbst“ übertitelt und führte fünf hochprofessionelle Streicherinnen und Streicher zusammen – Lilian Heere und Annette Köhler (Violinen), Dmitry Hahalin (Viola), Nicola Zesch (Cello) und Simon Wallinger (Kontrabass).
Bekanntlich sind Peter Wallinger und sein Sohn Simon in der Musikerszene bestens vernetzt, und so gelingt es ihnen immer wieder, hochrangige Musikerinnen und Musiker zu verpflichten. Simon Wallinger und Nicola Zesch spielen im Südwestdeutschen Kammerorchester Pforzheim – als Solokontrabassist und als Solocellistin. Die „Schubertiade“ begann gewissermaßen mit einer musikalischen Vorstellungsrunde. In drei Duetten von François Couperin (1668-1733), Maurice Ravel (1875-1937) und Gioachino Rossini (1792-1868) lernte das Publikum die Primgeigerin Lilian Heere, die Cellistin Nicola Zesch und den Kontrabassisten Simon Wallinger kennen. Es waren unbeschwerte, technisch gleichwohl überaus virtuose Kabinettstückchen, die vor der Pause gegeben wurden. Das Hauptwerk des Konzerts, Schuberts spätes Streichquintett C-Dur D. 956, bildete danach den eigentlichen Mittelpunkt der Veranstaltung.
Schuberts einziges Streichquintett C-Dur D. 956 in der seltenen Besetzung mit zwei Celli, komponiert im September 1828, nur wenige Monate vor seinem Tod, gehört mit der Klaviersonate B-Dur D. 960 und dem Liederzyklus „Die Winterreise“ D. 911 zu seinem Schwanengesang.
Zeit bleibt stehen
Simon Wallinger spielte die zweite Cellostimme auf dem Kontrabass, eine Lesart, die dem Gesamtklang eine überraschend reiche Profundität verlieh. Die Tragik eines ewig Suchenden, dessen (Liebes-) Träume nicht in Erfüllung gegangen sind, legt sich wie ein Schleier der Trauer über eines der klangschönsten Werke der Romantik. In den vier weit ausladenden Sätzen bleibt an vielen Stellen gleichsam die Zeit stehen. Gleich zu Beginn werden horizontale Parameter außer Kraft gesetzt: Melodien, die kein Ende finden können, scheinen die inneren Sehnsüchte wieder und wieder besingen zu wollen. Staccatofiguren, rhythmische Impulse und Sforzati in den weiteren Sätzen, offenbaren überraschende Schönheiten wie krasseste Härten.
Weltabgewandte Schönheit
Das größte Geheimnis bleibt aber Schuberts Modulationskunst, die innerhalb einer einzigen Phrase den kompletten Quintenzirkel abzuschreiten vermag. Die emotionalen Gegensätze führen zu Extremen in Klang und Dynamik, die man vor Schubert nirgendwo sonst finden kann. Den Künstlerinnen und Künstlern gelingt eine überzeugend schöne Wiedergabe einer Musik, die den Himmel zu berühren scheint, die so weltabgewandt und zugleich von so überirdischer Schönheit ist, dass man am liebsten weinen möchte. Das Publikum dankte den Ausführenden mit anhaltendem und herzlichem Beifall.
Als nächste Veranstaltung der Reihe erwartet die Freunde von MühlackerConcerto ein Neujahrskonzert am 12. Januar 2025 – dann wieder im Uhlandbau.
(Pforzheimer Zeitung vom 05.11.2024, Autor und Foto: Dietmar Bastian)