Musik, die den Himmel berührt

06.11.2024

Die neue Saison der Reihe „Mühlacker Concerto“ ist mit einer „Schubertiade im Herbst“ verheißungsvoll eröffnet worden. Im Mittelpunkt steht Franz Schuberts spätes Streichquintett C-Dur D. 956. Das Konzert findet in Ötisheim statt, da der Uhlandbau derzeit nicht zur Verfügung steht. (Mühlacker Tagblatt)

Lilian Heere und Annette Köhler (Violinen, v.li.), Dmitry Hahalin (Viola), Simon Wallinger (Kontrabass) und Nicola Zesch (Cello) beim Konzert in der Historischen Kelter. Foto: Bastian 
Lilian Heere und Annette Köhler (Violinen, v.li.), Dmitry Hahalin (Viola), Simon Wallinger (Kontrabass) und Nicola Zesch (Cello) beim Konzert in der Historischen Kelter. Foto: Bastian

Ötisheim. Höhepunkte gab es in Franz Schuberts kurzem Leben nur wenige. Die Liebe hat er wohl nicht kennengelernt, wahre Freundschaft dagegen schon. Legendär sind die „Schubertiaden“, Abende in Wohnzimmern oder Gasthöfen rund um Wien, an denen er Musiker, Maler und Dichter um sich versammelte.

Bis tief in die Nacht wurde gefeiert, musiziert und über das Leben philosophiert. „Kannewas?“ (Kann er was?) soll Schubert scherzhaft gefragt haben, wenn ein Neuer in die Clique aufgenommen werden wollte. „Schubertiaden“ nennt man heute Konzertreihen oder Musikfestspiele, die das überreiche Schaffen des mit 31 Jahren verstorbenen Frühromantikers ins Zentrum rücken.

Bereits zum 20. Mal veranstaltet die Initiative „Mühlacker Concerto“ eine zusammenhängende Winter-Konzertreihe, die am Sonntagnachmittag so vielversprechend begann. Wegen Renovierungsarbeiten im Uhlandbau fand die gut besuchte Veranstaltung in der Kelter in Ötisheim statt. Dies sollte sich nicht zum Nachteil auswirken, denn sowohl das Ambiente als auch die Akustik des Keltersaales sind vorzüglich.

Das Konzert war mit „Schubertiade im Herbst“ übertitelt und führte fünf hochprofessionelle Streicherinnen und Streicher zusammen – Lilian Heere und Annette Köhler (Violinen), Dmitry Hahalin (Viola), Nicola Zesch (Cello) und Simon Wallinger (Kontrabass). Peter Wallinger und sein Sohn Simon sind in der Musikerszene bestens vernetzt, und so gelingt es ihnen immer wieder, hochrangige Musikerinnen und Musiker zu verpflichten. Simon Wallinger und Nicola Zesch spielen im Südwestdeutschen Kammerorchester Pforzheim – als Solokontrabassist beziehungsweise als Solocellistin.

Die „Schubertiade“ begann gewissermaßen mit einer musikalischen Vorstellungsrunde. In drei Duetten von François Couperin (1668 bis 1733), Maurice Ravel (1875 bis 1937) und Gioachino Rossini (1792 bis 1868) lernten die Zuhörerinnen und Zuhörer die Primgeigerin Lilian Heere, die Cellistin Nicola Zesch und den Kontrabassisten Simon Wallinger kennen. Es waren unbeschwerte, technisch gleichwohl überaus virtuose Kabinettstückchen, die vor der Pause gegeben wurden. Das Hauptwerk des Konzerts, Schuberts spätes Streichquintett C-Dur D. 956, bildete danach den eigentlichen Mittelpunkt der Veranstaltung.

Schuberts einziges Streichquintett C-Dur D. 956 in der seltenen Besetzung mit zwei Celli, komponiert im September 1828, nur wenige Monate vor seinem Tod, gehört mit der Klaviersonate B-Dur D. 960 und dem Liederzyklus „Die Winterreise“ D. 911 zu seinem Schwanengesang. Simon Wallinger spielte die zweite Cellostimme auf dem Kontrabass, eine Lesart, die dem Gesamtklang eine überraschend reiche Profundität verlieh. Die Tragik eines ewig Suchenden, dessen (Liebes-) Träume nicht in Erfüllung gegangen sind, legt sich wie ein Schleier der Trauer über eines der klangschönsten Werke der Romantik.

In den vier weit ausladenden Sätzen bleibt an vielen Stellen gleichsam die Zeit stehen. Gleich zu Beginn werden horizontale Parameter außer Kraft gesetzt: Melodien, die kein Ende finden können, scheinen die inneren Sehnsüchte wieder und wieder besingen zu wollen. Staccatofiguren, rhythmische Impulse und Sforzati in den weiteren Sätzen offenbaren überraschende Schönheiten wie krasseste Härten. Das größte Geheimnis bleibt aber Schuberts Modulation, die innerhalb einer einzigen Phrase den kompletten Quintenzirkel abzuschreiten vermag. Die emotionalen Gegensätze führen zu Extremen in Klang und Dynamik, die man vor Schubert nirgendwo sonst finden kann. Den Künstlerinnen und Künstlern gelingt eine überzeugend schöne Wiedergabe einer Musik, die den Himmel zu berühren scheint, die so weltabgewandt und zugleich von so überirdischer Schönheit ist, dass man am liebsten weinen möchte.

Das Publikum dankte mit anhaltendem und herzlichem Beifall. Als nächste Veranstaltung erwartet die Freunde von „Mühlacker Concerto“ ein Neujahrskonzert am 12. Januar – dann wieder im Uhlandbau.

(Mühlacker Tagblatt vom 06.11.2024, Text und Foto: Dr. Dietmar Bastian)