Der Saal für gehobene Ansprüche

05.02.2022

In einem Vortrag von Dirigent und Festivalleiter Peter Wallinger steht die Wiederentdeckung des Mühlacker Uhlandbaus als Konzertsaal im Mittelpunkt. 55 Konzerte der Süddeutschen Kammersinfonie Bietigheim hat es dort seit 2004 gegeben. (Mühlacker Tagblatt)

Freuen sich über einen gelungenen Vortragsabend (v.li.): Rafael Wallinger, Peter und Maiken Wallinger, Susanne Bökenheide und Simon Wallinger. Foto: Müller
Freuen sich über einen gelungenen Vortragsabend (v.li.): Rafael Wallinger, Peter und Maiken Wallinger, Susanne Bökenheide und Simon Wallinger. Foto: Müller

Mühlacker. Musikalische Höhenflüge und Ereignisse in und um den Uhlandbau seit 2004 ließ Peter Wallinger am Donnerstagabend bei einer Vhs-Veranstaltung im Heimatmuseum Mühlacker Revue passieren. Der Konzertveranstalter und Dirigent der Süddeutschen Kammersinfonie Bietigheim berichtete in einem kurzweiligen Vortrag über die Bedeutung des Uhlandbaus als Konzertsaal. Ergänzende Wortbeiträge von Maiken und Simon Wallinger sowie Susanne Bökenheide rundeten das Thema ab. Zwischendurch kam, passend zu den einzelnen Beiträgen, auch die Musik „zu Wort“.

Im Uhlandbau aufgezeichnete Musikstücke der Kammersinfonie Bietigheim ließen lang vermisstes Konzertflair entstehen. Darunter waren bekannte Kompositionen wie Brahms’ „Ungarischer Tanz“ oder Schuberts „Menuett in d-moll“. Mit dem Vortrag und einer letzten Kuratorenführung durch die Sonderausstellung „Dennoch . . .“ endet die Veranstaltungsreihe zum 100-jährigen Bestehen des Uhlandbaus am Sonntag.

„Die Musik spielte bei der Errichtung des Uhlandbaus eine große Rolle“, sagte Peter Wallinger zu Beginn. Dafür spreche die Ausstattung mit damals modernster Bühnentechnik wie Rundhorizont oder Schnürboden, die Installation eines Orchestergrabens und das für eine gute Akustik richtige bauliche Verhältnis von Höhe, Breite und Tiefe. Auch scheinbare Kleinigkeiten wie die leichte Wölbung der Bühnenrückwand, die den nach außen dringenden Klang bündelt, seien bedacht worden.

Wallinger hat den Uhlandbau bereits in früher Jugend über die Musik kennengelernt. „Schlüsselerlebnisse waren Aufführungen des Schülerchors und Soloauftritte mit der Geige im Schulorchester“, sagte er. Durch die bewegte Geschichte des Uhlandbaus und der Familie Emrich sei er zu dem Entschluss gekommen, selbst Konzerte im Uhlandbau zu geben.

„Mit Brahms’ ‚Ungarischem Tanz‘ starteten wir im April 2004 unsere Konzerte, nachdem wir uns vorher von der hervorragenden Akustik des Saales überzeugt hatten. Nach weiteren Musikaufführungen etablierten wir drei Jahre später die Winterkonzertreihe ,Mühlacker Concerto‘ als Gegenstück zum ,Musikalischen Sommer‘ in der Lienzinger Frauenkirche“, so Wallinger. Ohne Schwierigkeit sei die Anfangszeit nicht abgelaufen: Herausforderungen bestanden bei der Sponsorensuche, beim Transportieren schwerer Konzertflügel oder bei den Verhandlungen über Mietzahlungen mit der Stadt Mühlacker. Ein wichtiger Schritt sei die Etablierung des Fördervereins „Mühlacker Klassik e.V.“ im Jahr 2011 gewesen.

„Uhlandbau und Kammersinfonie sind eine glückliche Symbiose“, sagte Wallinger. Es handle sich zwar um einen Konzertsaal im kleinen Format, der aber eine Intimität und Wärme des Klangs erziele, die die großen Konzertsäle von heute nicht erreichten. „Unser Orchester nennt sich ganz bewusst Kammersinfonie, ist also ein Orchester in reduzierter sinfonischer Besetzung. Das Musizieren im kleinen Format entspringt unserer Musizierhaltung, bei der jeder einzelne Spieler voll gefordert ist. Ein klangdifferenziertes, fein artikuliertes, schlankes Spiel ist so möglich und schafft eine besondere Frische und Vitalität der Darbietungen“, sagte der Orchesterleiter. Außerdem ermögliche die kleinformatige Besetzung entschlackte und transparente Interpretationen. Werke der Klassik und Romantik mit Kompositionen von Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert, Schumann oder Mendelssohn seien für diese reduzierte Orchestergröße konzipiert, so Wallinger.

Konzerte mit Hindernissen: Wenn auf dem Dachboden Schnee geschippt wird.

„Seit 2004 hat die Kammersinfonie 55 Konzerte im Uhlandbau gegeben. Im Zusammenhang mit dem Jubiläumsjahr war uns die Aufführung von Werken jüdischer Komponisten wichtig. Leider konnten wir diese teilweise nur als Video-Aufzeichnung darbieten“, erläuterte Wallinger. So habe man Werke von Felix Mendelssohn Bartholdy, Gustav Mahler, Samuel Barber, Mieczyslaw Weinberg, George Gershwin und Gideon Klein, einem hochbegabten Komponisten, der 25-jährig im KZ Theresienstadt sein Leben lassen musste, aufgenommen.

Maiken Wallinger, Ehefrau des Orchesterleiters, erzählte einige Anekdoten, die sich in und um den Uhlandbau zugetragen haben, beispielsweise über Großputzaktionen der Bestuhlung, Schneeschippen auf dem Dachboden oder die oft waghalsigen Aktionen zur Verbesserung der Bühnenbeleuchtung. Simon Wallinger präsentierte dem Publikum mit seinem sperrigen Kontrabass eine kleine Sketch-Szene, die den Ablauf eines Uhlandbau-Konzerts aus Musikersicht eindrucksvoll darstellte.

Susanne Bökenheide, Office-Managerin der Bietigheimer Kammersinfonie, beleuchtete die 2014 im Uhlandbau gestartete Aktion „Schülerkonzerte“, die gemeinsam mit der Bad Pyrmonter Theaterkompanie angeboten werden. „Grundschulen aus allen Mühlacker Stadtteilen und der näheren Umgebung werden alljährlich im Frühjahr von in kleiner Besetzung spielenden Ensembles der Kammersinfonie spielerisch an die Musik herangeführt“, sagte Bökenheide. Ein Geschichtenerzähler schreibe dafür jedes Jahr ein neues Stück wie etwa „Krach mit Bach“ oder „Beethoven zieht um“, für das dann aus Originalmusikstücken ein sinnvolles Arrangement kreiert werde.

Mit einem nachdenklichen Beitrag von Maiken Wallinger zur Erinnerungskultur endete die Veranstaltung. „Was kann Erinnerungskultur sein ? Nicht Schuldkultur, sondern ein Ringen um Wissen, ein Kennen und Anerkennen von Geschehenem in einer vergangenen Zeit, an einem noch jetzt hier bestehenden Ort“, gab sie zu bedenken und berichtete über ein zufälliges Erlebnis während eines Urlaubs mit ihrem Mann im Fischerdörfchen Sanary in der Nähe von Marseille. Dort fand im Herbst ein Forum der Else-Lasker-Schüler- Gesellschaft statt. „Sanary war zwischen 1933 und 1945 ein ‚Paradies auf Zeit‘ für einen großen Kreis dem Nazideutschland entflohener Künstler, die von dort aus ins Exil gingen oder teilweise doch noch deportiert wurden“, sagte sie. Ihnen sei bewusst geworden, dass immer, wenn der Uhlandbau mit seiner geschichtsträchtigen Bedeutung für Mühlacker beschrieben werde, voller Stolz von dem blühenden Musikleben der Anfangszeit die Rede sei. Leider werde dann über die Wege, welche diese „Größen“ aufgrund ihrer jüdischen Herkunft später gehen mussten, nicht weitergesprochen.

(Mühlacker Tagblatt vom 05.02.2022, Text und Foto: Manfred Müller)